Das Buch meiner Schatten
Es war eine unruhige Nacht wiedermal fand ich keine Ruhe und der Mond stand hoch am Himmel, als ich mich in einem alten Zimmer wiederfand. Das Zimmer war lange unberührt geblieben, die Erinnerungen darin schienen von einer unsichtbaren Schicht Staub bedeckt zu sein. Ein Gefühl von Beklemmung legte sich auf deine Brust, als mein Blick auf ein altes Buch fiel, das auf dem kleinen Schreibtisch lag – das Buch der Schatten.
Ich hatte es vergessen, oder vielleicht wolltest ich es vergessen. Es war einst ein Geschenk, das ich angenommen und dann tief im Inneren verdrängt hatte. Doch jetzt war es zurück, seine lederne Oberfläche schien im fahlen Mondlicht zu pulsieren, als ob es mich rufen würde.
Zögernd öffnete ich das Buch, und die Seiten schienen wie von selbst zu blättern, als ob eine unsichtbare Hand es steuern würde. Worte formten sich vor meinen Augen, Worte, die mir seltsam vertraut vorkamen, als wären sie ein Teil von mir, nur hatte ich sie nie hören wollen.
Auf der ersten Seite stand: „Was du verdrängst, wird immer zu dir zurückkehren.“ Ein Schauer lief mir den Rücken hinunter. Plötzlich spiegelte sich mein Gesicht in den Seiten wider, doch es war nicht nur meins– es war verzerrt, eine Fratze meines Selbstes, das ich nie habe ansehen wollen. Mein Spiegelbild schien zu leben, während der Raum um mich herum zu schwanken begann.
Die Möbel verschoben sich, Schatten tanzten an den Wänden. Ein Gefühl der Desorientierung überkam mich.War ich noch hier, in der Gegenwart, oder drang die Vergangenheit durch Risse in der Realität zurück in mein Leben? Ich hörte Stimmen, leise und murmelnd, Stimmen, die schmerzhafte Erinnerungen flüsterten, die ich längst begraben hatte.
Trickpunkte tauchten auf, kleine Bruchstücke meines Lebens, in denen ich Entscheidungen getroffen habe, die mich ins Dunkel führten. Doch sie schienen jetzt anders, verzerrt durch die Schatten meiner verdrängten Schmerzen. Ich sah mich in diesen Momenten, doch jedes Mal spiegelte sich die Angst in meinen Augen, die ich damals nicht wahr nehmen wollte. Hätte ich anders handeln können? War dies die Wahrheit, oder war es nur eine verzerrte Reflexion dessen, was hätte sein können?
Plötzlich änderten die Worte im Buch ihre Form, schmolzen ineinander, als wären sie aus flüssigem Metall. Ein neuer Satz tauchte auf: „Der Schmelzpunkt der Vergangenheit ist jetzt.“ Ich fühlte, wie die Wände zwischen dem Damals und dem Jetzt sich auflösen, als ob alles, was ich war und was ich sein könnte, in diesem Moment zusammenfloss.
Ich sah mich selbst als Kind, allein, traurig. Ich sah mich als Jugendliche, wütend unsicher und voller Angst. Ich sah mich in Momenten, die ich nie wieder ansehen wollte– in Augenblicken von Verlust, Trauer, Schmerz, Missbrauch und Demütigung Doch in jedem dieser Momente war ein Schatten, der mich begleitete. Und jetzt, zum ersten Mal, verstandest ich: Dieser Schatten war kein Feind. Er war ich. Der Schmerz, den ich so lange verdrängt hatte, war nicht meine Schwäche – er ist meine Stärke, wenn ich ihn zulassen und sehe das wir eins sind.
Danke
In diesem Augenblick begann das Buch zu verblassen. Die Seiten schmolzen weg, als wären sie aus Wachs, und eine tiefe Stille legte sich über den Raum. Ich spürte einen inneren Frieden, den ich lange nicht gekannt hatte als der Schatten – mein Schatten – sich sanft in mir integrierte. Der Schmerz, der einst wie ein Fremder in mir wohnte, verschmolz mit meinem Wesen.
Und als ich das letzte Mal in den Spiegel sah, erkannte ich endlich: Ich war nicht gebrochen. Ich war vollkommen – mit meinen Narben, meinen Fehlern, und den Schatten, die ich nun angenommen habe.
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